The Witcher
Mit innovativem Kampfsystem und überraschenden Story-Entwicklungen greift der Hexer die Konkurrenten Gothic 3 und Two Worlds an. Eines vorneweg: Die Attacke kann gelingen.
Gut gegen Böse. Wenn man will, kann man jedes Rollenspiel auf diese uralte Geschichte reduzieren. Ob Orks gegen Menshen (Gothic 3), die Gefährten gegen Sauron (Der Herr der Ringe Online) oder die Mächte des Lichts gegen die des Teufels (Diablo). Dass das Action-Rollenspiel The Witcher schon hier einen ganz anderen Weg einschlägt, lässt uns auf Abwechslung hoffen. Denn in der düsteren Welt des polnischen Fantasy-Autors Andrzej Sapkowski weiß niemand so recht, wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört – selbst beim Helden Geralt kann man sich nicht sicher sein. Doch neben der neuen Erzählweise will der Warschauer Entwickler CD Project das festgefahrene Rollenspiel- Genre auch in Sachen Kampfsystem und Charakterverwaltung flott machen. Wir haben eine weit fortgeschrittene Version probegespielt.
Auf den Kopf gefallen
Endlich konnten wir dem in der Vergangenheit eher wortkargen Witcher-Chefdesigner Michal Madej Details zur Story von The Witcher entlocken: Held Geralt, seines Zeichens schwertbegabter Hexer und Hauptfigur des Spiels, wird von anderen Hexern bewusstlos im Wald gefunden. Wie er da hingekommen ist, weiß er nicht. Mit dem Gedächtnisverlust Marke Gothic erlauben sich die Entwickler einen erzählerischen Kniff: In den Büchern der sogenannten Geralt-Saga ist dieser der beste Kämpfer weit und breit. Im Spiel aber, das fünf Jahre nach der Handlung des letzten Buches ansetzt, darf er nicht gleich zu Beginn ein fertig entwickelter Überheld sein – wo bliebe denn da das Rollenspiel? Also bekam er eine hübsche Amnesie spendiert; all seine Talente und Fertigkeiten muss er somit neu lernen. Zu diesem Zweck wird er von den Hexern zur Festung Kaer Morhen gebracht, der letzten Bastion dieser fast völlig ausgerotteten Gemeinschaft übernatürlich begabter Krieger. The Witcher
In der zerrütteten Witcher- Welt sind die Hexer die Einzigen, die mit Schwert und Magie umzugehen wissen – quasi das dunkle Pendant zu den Jedi-Rittern aus Krieg der Sterne. Dunkel deshalb, weil sie nicht unbedingt für das Wohl anderer kämpfen, sondern ebenso für Gold – und auch sonst auf ethisch-moralische Grundsätze eher pfeifen. Kaum sind Geralt und seine Retter in der Burg angekommen, wird diese von Unbekannten angegriffen. Dabei entwenden die Aggressoren ein überaus wichtiges Artefakt: das Zentrum der magischen Hexer-Macht. Leicht zu erraten, dass die erste Aufgabe des Spiels darin besteht, dieses Artefakt zurückzuholen. Denn zum einen könnte es in den falschen Händen zu einer Katastrophe führen, zum anderen wollen die Hexer damit zu einstiger Größe zurückfinden.
Wieder aufgerappelt
Gut anfangen, das können viele Rollenspiele. Doch nach wenigen Spielstunden verläuft sich die Geschichte in der Regel weitgehend, und die Spielmechanik übernimmt die Regie. Das muss nicht zwangsläufig zu einem schlechten Spiel führen – Gothic 3 und Two Worlds lassen grüßen. The Witcher will den Spieler dagegen durchgängig in die Geschichte einbinden und stellt Sie deshalb immer wieder vor folgenschwere Entscheidungen, deren Auswirkungen Sie teils erst Stunden später dramatisch zu spüren bekommen. Ein Beispiel: Für den Bauern Haren sollen wir garstige Ghoule am Fluss bekämpfen, die zwischen seinen dort gelagerten Kisten umherstromern. Kaum haben wir die Untoten zu Ganztoten befördert, tauchen mysteriöse (verdammt an die Herr der Ringe- Elben erinnernde) Typen aus dem Wald auf, die uns einen Handel vorschlagen. The Witcher
Überlassen wir ihnen die Kisten und halten die Klappe, werden wir reichlich entlohnt. Wir entscheiden uns dagegen und hauen stattdessen auch die Elben um. Unser Auftraggeber Haren ist sichtlich erleichtert. Doch viele Spielstunden später flüstert uns eine Stadtwache zu, dass ein guter Freund der Kollaboration mit Terroristen verdächtigt wird und im Kerker hockt. Offenbar haben die verbliebenen Elben nach unserer Aktion Rache geschworen und ihn angeschwärzt. Das riecht nach einer spannenden Befreiungsmission. Um zu überprüfen, wie der alternative Spielverlauf sein würde, springen wir per Speicherstand in der Zeit zurück und überlassen den Elben diesmal gegen eine fette Belohnung die begehrten Kisten. Kurz darauf steht das benachbarte Dorf in Flammen. Die wenigen Überlebenden erzählen von Elben, die mit besonders schweren Waffen angegriffen haben. Wir sollen der Sache nachgehen. The Witcher
Ob die Waffen aus den Kisten stammen? Oder der Bauer Haren etwas damit zu tun hat? Da man nie weiß, was die eigenen Entscheidungen bewirken, überrascht das Spiel immer wieder mit solchen Story-Wendungen – und bietet letztlich sogar drei unterschiedliche Enden. Da Sie jeweils 60 bis 80 Spielstunden einplanen müssen, dürfen Sie selbst ausrechnen, wie viel Zeit Sie in The Witcher stecken können.
Kein Hack‘n‘Slay...
Einen Großteil des Spiels verbringen Sie in zwar actionlastigen, aber dennoch recht taktischen Echtzeitkämpfen. Wie von den Entwicklern versprochen, können Sie wahlweise aus der isometrischen Ansicht à la Diablo 2 spielen oder Geralt wie in Gothic 3 aus der Verfolgerkamera über die Schulter schauen. Die Kämpfe verlaufen in beiden Varianten gleich. Jedoch müssen Sie in The Witcher nicht die typischen Klickorgien befürchten, sondern sinnvoll Kombos aneinanderreihen. Zu diesem Zweck leuchtet der Mauszeiger während des Kampfes immer wieder kurz auf. Klicken Sie rechtzeitig, führt Geralt immer stärkere Schwerthiebe aus. The Witcher
Das ist zu Beginn noch recht ungewohnt, lässt Sie jedoch schnell extrem coole Manöver aneinanderreihen, die – butterweich animiert – gleichermaßen den Feind frustrieren und das Auge erfreuen. Noch mehr taktische Tiefe bringen die drei Kampfstile (schnell und schwach, langsam und stark oder auf Feindgruppen ausgelegt), die Sie während des Gefechts mittels komfortabler Pause-Funktion ratzfatz wechseln können. Zudem müssen Sie darauf achten, mit welcher Waffe Sie angreifen. Während menschliche Gegner bei Geralts Stahlschwert den Kürzeren ziehen, müssen Sie zum Monstermetzeln zur Silberklinge greifen. Zauberer hingegen lassen sich nur durch magische Sprüche wie Feuerbälle oder Telekinese beeindrucken.